Anfang Juli 2023 stellen die Regierungsparteien, allen voran Finanzminister Christian Lindner, den Haushaltsentwurf des Bundes für 2024 vor. Einer der vorgestellten Aspekte: Eine mögliche Senkung der Elterngeld-Anspruchsgrenze. Haushalte mit einem zu versteuernden Einkommen von 150.000€ oder mehr (Bruttoeinkommen abzüglich von Werbungskosten und Freibeträgen) sollen, so die Idee, zukünftig keinen Anspruch mehr auf das vom Staat zur Verfügung gestellte Elterngeld während Ihrer Elternzeit haben. Auf gesellschaftlicher und politischer Ebene, insbesondere in den Foren sozialer Netzwerke wie Instagram, Facebook, Twitter und Co., entflammen seitdem stets neue Diskussionsherde, die sich der Elterngeld-Kürzung widmen. Die argumentativen Facetten scheinen dabei ebenso vielfältig wie polarisierend.  Insbesondere die Frage der Gerechtigkeit der Maßnahme scheint im Raum zu stehen. 

Wir von MediaAnalyzer haben uns mit den diversen bestehenden Thesen auseinandergesetzt und im Juli 2023 bundesweit 591 ProbandInnen ab 18 Jahren mittels Online-Befragung zu ihrer Meinung zur Elterngeld-Kürzung befragt. An der zweiwöchigen Umfrage nahmen rund 45% Männer und 55% Frauen teil. Einkommensverteilungen lagen gruppiert bei ca. 27% mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen (HHNE) bis 2.999€, 47% zwischen 3000€ und 4.999€ und 27% bei 5000€ oder mehr. 13% der Befragten gaben ein HHNE von 6000€ oder mehr an und würden demzufolge selbst von der Elterngeld-Kürzung betroffen sein.  Diese Hochrechnungen decken sich ebenfalls mit den Aussagen der ProbandInnen, von denen 12% angaben, selbst von einer möglichen Elterngeld-Kürzung betroffen zu sein.

Elterngeld-Kürzung: Eine Frage der Gerechtigkeit?

Lautstark pocht die Frage der Gerechtigkeit um die Elterngeld-Kürzung von 300.000€ auf 150.000€ zu versteuerndem Jahreseinkommen. Ist es in Ordnung, dass Eltern mit einem Jahreseinkommen in dieser Größenordnung selbst für die von Ihnen genommene Elternzeit aufkommen? Wir haben die TeilnehmerInnen gefragt, wie gerecht sie persönlich eine mögliche Reduzierung des Elterngeldes finden. 42% der Befragten empfinden eine mögliche Kürzung des Elterngeldes als (sehr) gerecht, 35% hingegen (überhaupt) nicht gerecht. Starke Unterschiede zeigen sich vor allem zwischen Frauen und Männern: Während jeder zweite Mann (52%) die Kürzung als gerecht empfindet und nur 26% als ungerecht, zeigt sich bei Frauen ein gegenläufiger Trend. Lediglich 34% der Frauen sehen die Kürzung als gerecht an, 44% finden dieses Vorhaben jedoch ungerecht.

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Entlang der Einkommensverteilung zeigt sich, dass die Hälfte der Befragten mit einem niedrigeren HHNE (bis unter 3000€) die Senkung der Einkommensgrenze (sehr) gerecht findet. Etwa ein Drittel derjenigen, die ein HHNE ab 5000€ haben, empfinden die Maßnahme der Elterngeld-Kürzung ebenfalls als gerecht (39%). Und das, obwohl ein Teil von ihnen selbst von der Kürzung betroffen wäre. Fragt man die Teilnehmenden nach ihren Begründungen für ein gerechtes Empfinden, wird am häufigsten argumentiert, dass Haushalte mit einem Einkommen von 150.000€ oder mehr keine staatliche Unterstützung bräuchten (ca. 80%). Der Staat solle lieber für Geringverdienende und sozial Benachteiligte sorgen. Die Gegenseite plädiert allerdings dafür, dass alle Eltern das gleiche Recht auf staatliche Unterstützung hätten, unabhängig vom Einkommen.

Einstellungen und Meinungen zur Senkung der Anspruchsgrenze gespalten

Um die Meinungen und Einstellungen zur Elterngeld-Kürzung noch besser zu fassen, wurden den Befragten Aussagen vorgelegt, die im Diskurs um das Thema fallen. Es zeigt sich, dass eine mögliche Kürzung des Elterngeldes allgemein kein Thema ist, das sehr stark Sorgen- oder Angstbehaftet zu sein scheint. Unemotional ist das Thema aber genauso wenig. Knapp 60% der Befragten geben an, dass Ihnen eine mögliche Kürzung ab 2024 keine Sorgen bereitet, 26% hingegen sind besorgt. Dass es einem großen Anteil wenig bis keine Sorgen bereitet, scheint aber kein Anlass dafür zu sein, sich nicht für das Thema zu interessieren. Lediglich 19% interessieren sich nicht für das Thema, da es sie nicht betrifft. Insgesamt scheint das Thema unabhängig vom individuellen emotionalen Erleben gesellschaftliche Relevanz zu haben.

Größte Zustimmung erhält die Aussage, dass Besserverdienende nicht zwingend auf das Elterngeld angewiesen sind (65%). Dieses Ergebnis überrascht nicht, da sich dieses Statement mit der am häufigsten genannten Begründung für ein gerechtes Empfinden der Elterngeld-Kürzung deckt. Mehr als die Hälfte der ProbandInnen (57%) stimmen allerdings auch der Aussage zu, dass die Bedürfnisse der besserverdienenden Eltern genauso wichtig sind wie die von Geringverdienenden. Dies spiegelt nicht nur die Argumentation derjenigen wider, die eine Elterngeld-Kürzung ungerecht finden, sondern zeigt einmal mehr eine gewisse Polarität des Themas. Die Aussagen stehen inhaltlich zwar nicht direkt in einem Gegensatz zueinander, dennoch wird aber ein deutlicher Zwiespalt erkennbar. Einerseits sind Besserverdienende nicht zwingend auf das Elterngeld angewiesen, andererseits sollten Ihre Bedürfnisse aber genauso wichtig sein wie die von anderen.

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Frauen sehen Elterngeld-Kürzung kritischer als Männer

Deutliche Unterschiede lassen sich auch zwischen Frauen und Männern feststellen. Männer scheinen sich insgesamt deutlich „kürzungsoffener“ zu positionieren als Frauen. So stimmen beispielsweise 71% der Männer zu, dass Besserverdienende nicht zwingend auf das Elterngeld angewiesen sind. Bei den Frauen stimmen dieser Aussage 60% zu. Jeder zweite Mann sieht in der Elterngeld-Kürzung eine notwendige Einsparung für den Bundeshaushalt 2024, bei Frauen ist es ca. jede Dritte. Männer zeigen insgesamt ein vergleichsweise höheres „Desinteresse“ am Thema (27%) als Frauen (14%), sofern sie nicht von der Elterngeld-Kürzung betroffen sind.

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Frauen zeigen eine höhere Zustimmung zu den Aussagen, die auf mögliche Konsequenzen der Elterngeld-Kürzung auf finanzieller, familiärer und emanzipatorischer Ebene hindeuten. 49% der Frauen finden, dass eine Kürzung sich negativ auf die Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern auswirkt. Sie könnten sich z.B. eher gezwungen sehen, weniger zu arbeiten, um als Haushalt unter der 150.000€-Grenze zu bleiben. Bei den Männern sind es 37%.

Die Hälfte der Frauen gibt an, dass die Elterngeld-Kürzung eine diskriminierende Wirkung hat. Dieser Aussage stimmen 38% der Männer zu. 58% der Frauen stimmen dem Aspekt zu, dass Paare sich ausgelöst durch die Kürzung aus finanziellen Gründen dazu entscheiden könnten, weniger Kinder zu bekommen. 46% der Männer sehen das genauso.

Besserverdienende stehen der Kürzung kritischer gegenüber

Erwartbare Unterschiede zeigen sich ebenso entlang der Einkommensverteilung. Personen mit einem HHNE von 5000€ oder mehr sehen eine Kürzung des Elterngeldes kritischer als Personen mit weniger monatlichem Einkommen. Die Meinungen klaffen am weitesten bezüglich der Aussage auseinander, dass die Bedürfnisse von besserverdienen Eltern genauso wichtig wie die von geringverdienenden Eltern sind. 70% der Personen mit einem HHNE ab 5000€ stimmen dieser Aussage zu, bei den Personen mit einem HHNE von unter 3000€ sind es zwar immerhin auch noch 44%, die Zustimmung ist in dieser Zielgruppe aber dennoch deutlich geringer.

Nichtsdestotrotz fällt auf, dass die Tendenzen entsprechend der Einkommenshöhe zwar erwartbar mit den inhaltlichen Aussagen zusammenhängen, die Zustimmung derjenigen mit einem hohen HHNE aber dennoch meist nur bei knapp über 50% liegt. Das zeigt, dass die Meinungen auch unter Besserverdienenden gespalten sind. Eine auffällige Annährung zeigt sich insbesondere bei der Aussage, dass eine mögliche Kürzung des Elterngeldes ab 2024 Sorgen bereite. Unabhängig vom Einkommen erscheinen die Befragten gleichermaßen (un)besorgt (25% bzw. 26%). Über mögliche Gründe dafür kann an dieser Stelle nur spekuliert werden. Naheliegend erscheint aber die These, dass Personen mit einem HHNE von 5000€ oder mehr generell weniger finanziell sorgenvoll sind. Ohne das Elterngeld auskommen zu müssen, würde für Betroffene der Kürzung nicht unbedingt existenzielle Ängste wecken. Zudem befindet sich der Vorschlag der Elterngeld-Kürzung noch auf dem Status eines Entwurfes, weshalb das Thema und die daraus resultierenden Konsequenzen derzeit noch wenig spürbar sind.

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Fazit

Die Ergebnisse zeigen insgesamt, dass die Debatte um die Kürzung des Elterngeldes kontrovers gesehen wird. Sowohl die Frage wie gerecht eine mögliche Kürzung ist, scheint zwiegespalten als auch die Einstellungen zu diversen Statements, die das Thema betreffen. Die Elterngeld-Kürzung scheint zwar insgesamt auf einer diskursiven Ebene eine hohe Relevanz zu haben, wird aber, auch bei Betroffenen, mit nicht allzu großer Sorge gesehen. Frauen scheinen mehr Bedenken bezüglich einer möglichen Kürzung zu haben als Männer – was die Gründe und Ursachen dafür sein könnten, bleibt an dieser Stelle auf hypothetischer Ebene.

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